Schlagzahl oder Bauchgefühl?

Lean im Alltag

08.05.2019

Industrie-Unternehmen fahren seit Jahren gut mit Lean Production. Sie haben ihre Prozesse durchgetaktet und alle überflüssigen Tätigkeiten eliminiert. Selbst bei Bauprojekten lässt sich Lean in Form von LCM erfolgreich anwenden. Warum nicht auch den Alltag mithilfe des Lean-Ansatzes optimieren!?   

Das Smartphone mit der Lauf-App liegt aufgeladen neben der Ladestation. Ein komplettes Outfit für die Temperaturzone 5 bis 10 Grad Plus bestehend aus T-Shirt, leichter Lauf-Jacke, ¾-Hose und Socken liegt als Bündel wie immer in der mit „Sportoutfits“ beschrifteten Schublade und lässt sich innerhalb weniger Sekunden greifen und anziehen. Die sauberen Laufschuhe stehen an dem ihnen anberaumten Platz im Schuhschrank unten links.

Der Haustürschlüssel hängt am Schlüsselbrett darüber. Rüstzeit vor dem Training: 3 Minuten 30 Sekunden. Der effiziente Trainingsplan gibt per App das Tempo vor. Nach exakt 45 Minuten ist Schluss. Schlüssel hinhängen. Schuhe kurz ausklopfen, in den Schrank, Kleidung direkt in den mit 30 Grad Funktionswäsche beschrifteten Korb. Handy an seinen Platz. 0,4 Liter Wasser trinken. Duschen. Gesamtzeit für die Trainingseinheit: 58 Minuten.

Bewundernswert, aber nicht normal. Bekannter vorkommen dürfte dem ein oder anderen Freizeitsportler folgendes Szenario: Handy suchen und feststellen, dass es gar nicht aufgeladen ist. Also noch schnell an die Ladestation. In der Zwischenzeit erstmal eine kurze Hose anziehen. Temperatur checken und sich noch mal für eine längere entscheiden. Feststellen, dass das Lieblings-T-Shirt in der Wäsche ist. Einen zu warmen Pullover anziehen. Wo ist noch mal der Haustürschlüssel? Da ist schnell mal eine Viertelstunde vergangen, bevor das eigentliche Training startet. Klare Sache: Sportler 1 ist extrem ordentlich und Sportler 2 ein Chaot. Aber was hat das Ganze mit Lean zu tun?

Verschwendung vermeiden

Lean, zu Deutsch schlank, beruht auf dem in den 1970er-Jahren von Taiichi Ohno entwickelten Toyota Produktionssystem. Das TPS verfolgt das Ziel, effizienter zu produzieren, indem man jegliche Verschwendung vermeidet: Nicht mehr produzieren als nachgefragt, Materialbestände reduzieren, Transportwege verkürzen, umständliche Bearbeitung und überflüssige Bewegungen einschränken, Wartezeiten und Nacharbeiten eindämmen.

Die Grundidee, Abläufe so zu strukturieren, dass sie verschwendungsfrei von statten gehen und sich stattdessen auf den tatsächlichen Kundenmehrwert zu konzentrieren, hat schon in vielen Bereichen der Wirtschaft Einzug gehalten: Lean Management, Lean Office – oder im Bauwesen: Lean Construction

Tools über Tools

Bei dieser Methode überträgt Drees & Sommer die Vorteile des Toyota Produktionssystems aufs Bauen, das heißt auf Bauprojekte und -prozesse. Schneller und zuverlässiger, weniger chaotisch – und letztlich günstiger laufen Bauprojekte mit Lean Construction ab. Just in Time, 5S-Methode, KAN-BAN, SCRUM … Innerhalb von Lean Construction gibt es zahlreiche Werkzeuge. Diese müssen bei Drees & Sommer nicht immer alle bei jedem Projekt in der gleichen Art und Weise zum Einsatz kommen. Dennoch legt das Unternehmen Wert darauf, dass innerhalb jedes Projekts die Standardvorgehensweise angewendet wird und die Mitarbeiter die Grundhaltung, die dahintersteckt, verstehen und umsetzen. Lean Management bedeutet auch Change Management und den Fokus auf Prozesse mit Standards, Visualisierung, täglicher Überprüfbarkeit und Disziplin zu legen.

Um das zu unterstützen, hat Drees & Sommer bereits im Dezember 2016 ein LCM-Expertencenter eingerichtet. An jedem Standort gibt es Mitarbeitende, die das Thema vorantreiben und Kundenprojekte mit der Lean-Methodik richtig aufsetzen.

Praxis-Check Lean

Zurück zur Praxistauglichkeit jenseits der Arbeit. Eine wichtige Methode innerhalb von Lean heißt 5S. Sie lässt sich, falls gewünscht, gut auf den Alltag übertragen:

Sortiere aus:
Alte Bücher und Zeitschriften, eingestaubte Deko-Artikel, Kleidung, Schuhe … Wer dem inneren Messie regelmäßig den Kampf ansagt, fühlt sich befreiter. Auf das Lauftrainingsbeispiel von oben übertragen: Abgetragene Laufschuhe nicht ewig aufbewahren (außer vielleicht die, mit denen man den ersten Marathon bestritten hat oder das erste Mal 10 Kilometer am Stück gelaufen ist?!?!) Emotionen sind manchmal stark. Kompromiss: Vielleicht einfach ein schönes Foto mit den Lieblingsschuhen von einst machen und sich von den Tretern selbst trennen.

Stelle ordentlich hin:
Wenn alles „seinen festen Platz“ hat, muss man nichts suchen. Vorausgesetzt man ist so selbstdiszipliniert, für alles einen solchen Stammplatz zu finden und immer alles sofort wieder an diesen einen Platz zu bringen, sollte es sich einmal davon wegbewegen. In Haushalten mit kleinen Kindern reicht dieses Zurückbringen einmal am Tag – sonst widerspricht der Grundsatz dem Prinzip, unnötige Laufwege und Doppelarbeiten zu vermeiden. Aber Laufklamotten in Outfit-Stapeln nach der Außentemperatur zu sortieren, wäre mal einen Versuch wert.

Säubere:
Lean reimt sich auf Clean. Das scheint kein Zufall zu sein. Regelmäßig alles sauber und ordentlich zu halten, ist nicht nur in der Werkshalle oder – so gut es geht auf der Baustelle – sinnvoll. Die Erfahrung zeigt: Wer putzen will, muss auch automisch erstmal aufräumen. Und dass das Laufshirt nach dem Gebrauch in die Wäsche gehört, ist sowieso klar.

Standardisiere:
Immer der gleiche Ablauf. Gleiche Qualitätsstandards. Was für Produktions- und auch Bauprozesse sinnvoll ist und für mehr Effizienz und Tempo sorgt, kann auch den Alltag besser strukturieren. Erst umziehen, dann das Handy nehmen, Schuhe anziehen und zum Schluss den Schlüssel. Sportler 1 gestaltet die Vorbereitung zum Training immer gleich und kommt so schnell los – er muss sich über den Prozess keine Gedanken mehr machen, verliert keine unnötige Zeit. Im Training achtet er dann auf einen effizienten Laufstil, zum Beispiel ohne überflüssige Auf-und-Ab-Bewegungen.

Selbstdisziplin und ständige Verbesserung:
Lean umzusetzen und durchzuziehen fällt dem einen wohl leichter, dem anderen schwerer. Lean bedeutet auch feste Gewohnheiten zu hinterfragen. Ist der Weg, den ich immer zur Arbeit nehme auch der schnellste, beste, sicherste? Was kann ich noch verbessern? Möglicherweise spart Sportler 1 noch zwanzig Sekunden ein, wenn er sich ein Schnellschnürsystem für seine Schuhe besorgt.

Am Wochenende und im Urlaub ist Schluss mit Lean

Fazit: Menschen, die von ihrem eigenen ineffizienten, chaotischen Verhalten im Alltag genervt sind, kann die Lean-Methodik helfen. Denn wer Lean verinnerlicht, hat weder einen übervollen Vorratsschrank, noch geht die Milch aus. Das Wochenende hingegen streng durchzutakten mit genauen Zeitfenstern für jede Aktivität wäre übertrieben.

Auch klingen die Worte Urlaub und Effizienz im selben Satz komisch. Manchmal ist es doch schön, sich treiben zu lassen, 48 Stunden oder auch ein paar Wochen am Stück nicht an Produktivität und Effizienz zu denken, die Ineffizienz zu feiern, Zeit bewusst und ohne schlechtes Gewissen zu „vertrödeln“ oder einfach zu genießen, nicht ständig zu reflektieren und zu optimieren. Während ein erfolgreiches Lean Management im Büro, auf der Baustelle oder am Fließband Genugtuung bringt, kann das süße verschwenderische Nichtstun auch befriedigend sein.

Wie lean ist dein Alltag?

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