Von China nach Deutschland und zurück

Hallo Heimat

13.02.2020

Wenn einer eine Reise tut – und die Heimat besucht, dann erlebt er ehemals Gewohntes neu. Dennis Schulz aus unserem Shanghaier Büro schildert Eindrücke von seinen Reisen „nach Hause“.

Mit einer Unterbrechung lebe ich nun über zehn Jahre in China. Lediglich ein- bis zwei mal komme ich pro Jahr nach Deutschland. Ich habe mal zusammengeschrieben, wie sich das anfühlt. Mit einem Augenzwinkern.

Tatsächlich ist es jedes Mal eine ernste Umstellung. Nicht umsonst gibt es den Begriff des „Reverse Culture Shock“ für Menschen, die aus dem Ausland zurückkehren. In weiter Ferne, so nah. Deutschland ist für mich beides: Zuhause und doch so weit weg. Es sind viele Dinge, die einem durch den Kopf gehen, viele Eindrücke, manchmal Banalitäten, die mich erstaunen …

Hamburg. Der Hafen, die Lichter, die Sehnsucht … begleiten das Schiff in die Ferne hinaus. Elbe. Alster. Schiffe. Hach, schön isses schon. Meine Familie und ich genießen die klare Luft. Es macht Spaß, die verschiedenen Stadtteile mit ihrer eigenen Identität zu erkunden. Die Stadt ist bunter und grüner als chinesische Städte. Gerade Hamburg mit seinen Subkulturen ist für uns „multikulti“. China dagegen ist mehr oder minder eine „Monokultur“. Die Anzahl der dort lebenden Ausländer ist im Vergleich zu deutschen Städten verschwindend gering. Andererseits ist es unter den anderen internationalen Bewohnern umso einfacher, neue Leute kennenzulernen, wir machen als „Exoten“ ähnliche Erfahrungen – ein Gruppengefühl ist sofort da.

Manchmal ist es enttäuschend, dass sich zwischen den Besuchen in Deutschland quasi nichts verändert. Andererseits ist es ebendiese Beständigkeit, die beruhigt. Und auch Geborgenheit vermittelt.

Insgesamt konnte ich an mir selber beobachten, wie sich die Wahrnehmung meiner Umgebung veränderte. Selber mit drei Brüdern groß geworden, fand ich nun Familien mit mehr als einem Kind eigenartig. Wo man in China bisher nur ein Kind haben durfte, brannte sich das Bild der Ein-Kind-Familie eben doch ein. Man sieht im Grunde keine Familien mit zwei Kindern und wenn doch, fällt es sofort auf.

Der vorletzte Deutschlandbesuch war zu Heiligabend. Keine Autos, keine Menschen auf der Straße. Klar, die saßen ja alle um ihre Weihnachtsbäume herum. Mir kam es aber vor, als hätte uns die Apokalypse eingeholt – die Ruhe und Leere war äußerst ungewohnt. Hinzu kam noch die nahezu totale Dunkelheit in der Nacht. Zugegebenermaßen ist das sicherlich auch dem Vorort geschuldet, in dem mein Vater lebt. Aber gefühlt wird es in Peking oder Shanghai eben nie dunkel. Mir wurde klar, was der Begriff „Lichtverschmutzung“ zum Ausdruck bringen soll.

Lost in zwei Muttersprachen

Bei einer Ankunft in Deutschland sprach ich den Taxifahrer zunächst auf Englisch an. Es macht mich oft wahnsinnig, überall Deutsch zu hören. Permanent bin ich irritiert, dass so viele Deutsche um mich herum sind. So viel Sprachmüll, den ich ungewollt aufsammle. Ich genieße es, mich in Peking oder Shanghai durch die Stadt zu bewegen und kaum etwas von dem Gebrabbel aufzunehmen, das um mich herum stattfindet.

Der letzte Deutschlandurlaub war ein bisschen wie „Sprachurlaub“ für unsere zweieinhalbjährige Tochter Anika Yanqing. Sie spricht quasi fließend Chinesisch, aber kaum Deutsch. Das hält sie übrigens nicht davon ab, das chinesische Kindermädchen, das mit ihr Englisch spricht, sehr selbstbewusst über die deutsche Sprache zu belehren. Daher hatte ich etwas Sorge, dass nach unserem dreiwöchigen Aufenthalt eher Opa in Hamburg Chinesisch sprechen könnte als meine Tochter Deutsch. Aber die Sorge erwies sich als unbegründet. Tatsächlich ist ihr Sprachschatz ganz schön gewachsen.

Geregeltes Chaos und technische Spielwiese

Gelacht habe ich zu Hause in Hamburg, als morgens die U-Bahn leer war. Mitten in der Hauptverkehrszeit fand ich einen Sitzplatz! In Peking mied ich morgens die U-Bahn, da ich nicht einmal einen Stehplatz bekam und zumeist drei oder vier Züge fahren lassen musste, bis ich mich überhaupt zur Tür des Zuges vorgekämpft hatte (man stellt sich ja am Bahnhof mittlerweile an). Allerdings war ich dann zerknirscht, dass die U-Bahnen in Hamburg abends nur alle fünf Minuten fuhren. An eine Taktung von eineinhalb Minuten gewöhnt man sich schnell! Es kostet mich aber schon ganz erheblich Nerven und sehr viel Disziplin, an der U-Bahn zu warten, bis alle Leute ausgestiegen sind. Meine Güte, man könnte die Wartezeit aller Züge in Hamburg halbieren, wenn man gleichzeitig ein- und aussteigen würde!

Jede größere chinesische Stadt hat heute ein U-Bahn-System, Straßenbahnen wurden wieder eingeführt. Magnetschwebebahnen wurden gebaut, Einschienenbahnen eingeweiht … China ist in Probier-Laune! Linienbusse mit Elektromotor sind in Deutschland nicht serienreif? In Peking werden keine anderen mehr zugelassen! Taxis – früher eine beliebte und günstige Alternative zum öffentlichen Nahverkehr – nutzt kaum noch jemand. Man ruft sich einfach per App einen Wagen, das ist zuverlässiger, schneller und günstiger. Na ja, oder man nimmt eben gleich ein Fahrrad: Smartphone raus, App angeschaltet, QR-Code am Rad gescannt und los geht’s! Sie stehen überall … mittlerweile sogar im Übermaß.

Leih-Fahrräder in Shanghai

Technisch ist Deutschland klar hinterher. Mehrfach stand ich in Geschäften und Restaurants, in denen Bezahlen mit EC-Karte nicht möglich war – man nimmt nur Bargeld. In China dagegen komme ich mir schon fast abartig vor, wenn ich mit Karte zahlen wollte. Es gibt dort immer mehr Geschäfte und Restaurants, die keine Karten annehmen. Stattdessen zahlt man mit dem Smartphone. Einkaufen läuft ohnehin schon lange mobil – quasi alles. WLAN gibt’s in China in jedem Imbiss, jeder Straßenverkäufer bietet es an. In Hamburg war das ein Krampf! Na, und ich kenne in China niemanden, der ein Festnetz daheim hat. Im Büro klingelt es vielleicht zweimal am Tag. Dafür haben viele zwei Mobiltelefone. Mein Bruder machte mich einmal süffisant darauf aufmerksam, dass in dem vollbesetzten Hamburger Restaurant außer mir nur ein chinesisches Pärchen mit ihren Mobiltelefonen spielte. Puh ... ein Schlag ins Kontor.

Geschmack kosmopolitisch

Beim Einkaufen in Hamburg muss ich stets über mich selber lachen, so fasziniert bin ich: Alles ist so bunt und wohlriechend … so ungewohnt appetitlich und ansprechend dekoriert. Ich könnte einen ganzen Tag bei Rewe oder in einer Konditorei verbringen und dort Erinnerungsfotos schießen! Verstörend ist jedoch immer wieder, dass ich an der Kasse in meiner Sprache angesprochen werde. Und das auch noch meist freundlich! Ich vermisse es nicht, angegrunzt zu werden, in dem Glauben, ich verstünde ja eh nichts. Nicht ungewöhnlich ist es, dass in Peking mit einem kurzen „mh!“ unbeteiligt auf den Betrag gedeutet wird, den die Kasse anzeigt. Und Bio? Das ist sicherlich gut. Man kann anscheinend auch ohne Plastikverpackungen einkaufen oder etwas geliefert bekommen, was nicht fünfmal in Folie gewickelt ist. Beeindruckend.

Schade aber, dass es in Deutschland an der Ecke keinen 24-Stunden-Supermarkt gibt, wo ich noch einmal schnell vorbeigehen kann, wenn unangemeldeter Besuch kommt oder ich etwas vergessen habe – den Komfort vermisse ich sehr. Und: was und wo könnte ich nach Hause bestellen? Würde das wie in China am gleichen Tag geliefert werden? Könnte ich wie dort bei meinem Lieblingsrestaurant bestellen oder geht das nur über Lieferando? Übrigens ein interessanter Aspekt für Planer: In den Außenanlagen gilt es, Aufstellflächen für Elektro-Scooter und dreirädrige Mopeds der Kuriere zu berücksichtigen, und Betreiber von Bürogebäuden fordern Paketstationen im Basement, damit nicht sämtliche Lieferungen an der Rezeption landen.

Irgendwie kamen wir nicht umhin, in Deutschland mit der Familie auch chinesisch essen zu gehen. Das war so ziemlich das Schlimmste, was man mir antun konnte: Es hat hier im Grunde nichts mit dem chinesischen Essen zu tun, das wir essen. Die meisten Chinesen, die solche Restaurants betreiben, stammen aus Südchina (oder sind gar Vietnamesen!), die Gerichte repräsentierten nur einen sehr kleinen Teil der chinesischen Küchen, es sind gar nicht alle Zutaten erhältlich und viele Gerichte sind dem europäischen Gaumen angepasst. (Ich könnte ein ganzes Buch füllen, was für vermeintlich italienische oder deutsche Speisen im Gegenzug in China serviert werden!) Ich mag es, dass in China alles zum Teilen bestellt und in die Tischmitte für alle gestellt wird, sodass jeder alles probieren kann. Meine chinesische Frau und ihre Freundinnen kichern in Hamburg, wenn der Reis als Erstes auf den Tisch gestellt wird. In China bestellt man Reis eigentlich nur in Ausnahmefällen, um sicherzugehen, dass alle satt geworden sind.

Aber es war eine interessante Erfahrung, dass es in Deutschland Restaurants gibt, in denen die Bedienung an den Tisch kommt, sich erkundigt, ob alles in Ordnung ist und wir vielleicht noch etwas haben möchten. Es war angenehm, dem Kellner nicht hinterher brüllen zu müssen.

Happy back home

Vor dem Rückflug geht es immer einkaufen. Man bekommt heute zwar alles in China – von Nutella über Käse bis zur Levi’s Jeans und inzwischen sind alle Modeketten präsent. (Ich weiß noch, was es für eine Aufregung unter uns Ausländern gab, als vor ein paar Jahren in Shanghai der erste H&M eröffnete, das wurde nur überboten von dem Aufruhr, als Burger King nach China kam.) Aber a) sind westliche Lebensmittel und Produkte teuer und b) übertreffen meine Körpermaße die des Otto-Normal-Chinesen, was es nicht einfach macht, entsprechende Größen zu finden.

Auf dem Rückweg nach China merken wir stets schon am Abflug-Gate, wo es hingeht. Der Lautstärke-Pegel ist deutlich angehoben, das Gedränge und die Hektik nehmen zu. Immerhin scheint es nicht mehr Pflicht zu sein, dass in China alle Passagiere beim Touchdown aufspringen und nach ihrem Koffer greifen. Und sind wir wieder gelandet, geht es so weiter … lautes Telefonieren, (vor-)drängeln … Wir kommen zurück in ein Land, wo man sich über eine Stunde an einem Imbiss anstellt, um einen „besonderen“ Tee zu bekommen. Ich bin wieder zu Hause und freue mich, zurück zu sein. Ganz im Ernst: Ich möchte dieses Chaos nicht missen müssen!

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