Fortbewegung

"Wir brauchen eine Mobilität der Nähe"

27.02.2020

Unsere Mobilität wandelt sich derzeit grundlegend. Nicht nur dass sich in diesem Prozess die großen Trends wie Klimawandel, Digitalisierung und Urbanisierung schneiden. Die Veränderungen berühren auch verfestigte Vorstellungen und eingefahrene Verhaltensmuster. Wie beraten Mobilitätsexperten vor diesem Hintergrund ihre Kunden? Wir haben darüber mit Claus Bürkle, Experte für Mobilität sowie Partner bei Drees & Sommer, gesprochen.

 

Herr Bürkle, viele Mobilitätstrends weisen in verschiedene Richtungen. Beispielsweise zielt der Sharing-Gedanke auf eine Reduzierung der Pkw, während eine Autonomisierung des Fahrens das Pkw-Aufkommen eher erhöhen dürfte. Wie beraten Sie in dieser unübersichtlichen Situation Ihre Kunden?

Claus Bürkle: Wir differenzieren in der Beratung, zeigen die zwei Seiten einer Medaille auf. Bleiben wir bei Ihrem Beispiel: Meiner Meinung nach hat das autonome Fahren zwei Seiten. Einerseits würde es in der Stadt funktionieren. Mit der Einschränkung, dass der Raum nach außen abgeschlossen werden muss. In einem festgelegten Ballungsraum beispielsweise, in dem die autonom betriebenen Fahrzeuge einem Dienstleister gehören. Sonst würden einfach zu viele Menschen autonom in die Innenstädte einfahren, statt den ÖPNV, der nach wie vor das beste Verkehrsmittel für große „Massen“ ist, zu benutzen.

Die andere Seite ist der ländliche Bereich, wo wir noch keine so hohe Verkehrsdichte haben, wie in den Zentren. Hier wird meiner Meinung nach das autonome Fahren richtig interessant. Beim Personenverkehr besonders, weil sich hierdurch der Verstädterung entgegenwirken lässt. Denn dann pendeln die Leute wieder weiter, weil sie ja bereits in den Pkw arbeiten können. Kurz: Das autonome Fahren in den Städten wird sich vielleicht durchsetzen, aber es wird kein Allheilmittel sein. Andererseits kann es einen wichtigen Beitrag zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr leisten.

Könnte man nicht noch andere Stellhebel bewegen, anstatt über hochkomplexe Technologien nachzudenken? Müsste man nicht beispielsweise vermehrt vorhandene Infrastrukturen innovativer nutzen?

Grundsätzlich gilt, dass alle neuen Mobilitätstechnologien vorhandene Mobilität nur ergänzen können. Für den Massentransport sind die schienengebundenen Verkehrsträger weiterhin das A und O. Am Ende muss dort aber auch die Infrastruktur nachgehalten werden.

Gleichzeitig sind viele Nutzungsinnovationen leider nicht so einfach umsetzbar, wie man sich das manchmal denkt. Eine Ausweitung der Fahrradmitnahme im ÖPNV wird aufgrund des Platzbedarfs in den Stoßzeiten eher schwierig. Mehr S-Bahn- oder U-Bahnwagen gehen in Städten beispielsweise kaum, da die Bahnsteige oft einfach zu kurz sind.

Worin sehen Sie die größere Herausforderung: in der Umstellung vom analogen auf einen digitalisierten Verkehr oder darin, das Gleichgewicht zwischen privatem und öffentlichem Verkehr zu finden?

Ich glaube, die Digitalisierung ist ein dermaßen dominanter und durchschlagender Trend, dass er alles beeinflusst. Vieles wird dadurch komplex, vieles aber auch einfacher. Denken Sie zum Beispiel an eine Mobilitäts-App, die Ihnen die kürzeste Verbindung unabhängig vom Mobilitätsträger anzeigt und die Ihre Strecke, falls nötig, live anpasst. Unterscheiden muss man zusätzlich zwischen der Digitalisierung der Beförderungstechnik in den Fahrzeugen und Service-Technologien, die den Menschen deren Benutzung erleichtern sollen – wie eben jene App.

Ansonsten ist unsere Herausforderung, dass wir hierzulande kaum hinterherkommen, die notwendige Infrastruktur zu schaffen. Für mich geht es da klar um eine Frage der öffentlichen Daseinsvorsorge. Private Einzellösungen können sich zwar ergänzen, in der Praxis überlappen sie sich aber häufig. Das heißt, es entstehen Redundanzen. Etwa dann, wenn in einem Gewerbegebiet jede Firma ein eigenes Firmen-Busshuttle einrichtet. Eine öffentliche Buslinie wäre effizienter und effektiver.

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Zur Person:
Claus Bürkle
1999 begann Diplomingenieur (FH) Claus Bürkle seine berufliche Laufbahn als Projektmanager bei Drees & Sommer. Dort betreute er komplexe Projekte in unterschiedlichen Bereichen. Seit 2011 ist Claus Bürkle Geschäftsführer bei den Infrastruktur- und Entwicklungsmanagementexperten von Drees & Sommer. Hier liegen seine Schwerpunkte im Bereich Infrastrukturberatung und Mobilität. Claus Bürkle betreut unter anderem Projekte im Bereich der Elektromobilität, des ruhenden Verkehrs, Urbaner Seilbahnen, der verkehrlichen Erschließung, sowie eine Vielzahl an Schieneninfrastrukturprojekten. Aufgrund seiner Projekterfahrung mit Kommunen ist Claus Bürkle Ansprechpartner für die öffentliche Hand. Seit 2017 ist Bürkle Partner der Drees & Sommer-Gruppe.

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